#HarryAndMeghan #RecollectionsMayVary

Sind Nachrichten über Königshäuser nur etwas für bunte Blätter? Im Gegensatz zu Fussball, über das eine ganze Gesellschaft so intensiv diskutieren kann, dass es 80 Millionen Bundestrainer gibt, scheinen Diskussionen über Verwerfungen in Königsfamilien eher so wenig angesagt zu sein wie das Geständnis, dass man Rosamunde Pilcher Filme sieht oder gerne Currywurst ist. Aber in unseren Gesellschaften ist das Spektakel der Königsfamilien auch etwas, daß es, zumindest im Fall der englischen Königsfamilie, auch in SPIEGEL, FAZ oder Süddeutsche schafft. Und nicht erst seit dem Netflix-Drama The Crown gibt es im Fernsehen Geschichten zu sehen. Rolf Seelmann-Eggebert hat über Jahrzehnte Hochzeiten und Trauerzüge kommentiert, zu denen sich auch die deutschen Zuseher*innen vor dem Bildschirm wie vor einem Lagerfeuer oder einem WM-Endspiel versammelten. In den Mediatheken von ARD und ZDF finden sich verschiedene Filme, die das Leben der Royals, vor allem der Windsors im Vereinigten Königreich, aber auch in Nordeuropa, den Niederlanden, Spanien oder Monaco, in netten Dokumentationen darstellen.

Der Tod der englischen Königin Elizabeth II hat für 10 Tage den Zugang zum BBC-Programm für jederfrau ermöglicht, man konnte aber auch bei ARD und ZDF wie die Brit*innen die Proklamation des neuen Königs live mitverfolgen, am Bildschirm sehen wie der Sarg der Königin von Balmoral nach Edinburgh und dann nach London gebracht wurde, wie viele Menschen an den Straßen standen und nicht zuletzt die Trauerfeier in der Westminister Abbey sehen. Königshausexpert*innen waren im Dauereinsatz und erklärten Rituale und was man so wissen möchte, wenn man das solche Ereignisse im Fernsehen sieht. Da die Krönung von Elizabeth II vor fast 70 Jahren stattfand – und es damals nach längeren Diskussionen 1953 auch im TV übertragen wurde und zu einem echten Push für den Verkauf von Fernsehgeräten in Großbritanien wurde – sind in den vergangenen Jahrzenten eher königliche Hochzeiten zu TV-Ereignissen geworden. Viele haben die Hochzeit von Charles und Di als Märchenhochzeit verfolgt, mit Maxima und Willem-Alexander beim Tango geweint, sich mit Victoria gefreut, dass sie ihren Daniel gekriegt hat und natürlich die Hochzeiten von William und Kate genauso wie von Harry und Meghan verfolgt. 

Schon an der Tatsache, dass Mitglieder von Königshäusern so bekannt sind, dass alleine ihr Vornamen reicht, um zu wissen, um wen es sich handelt, zeigt dass es sich um „starke Marken“ handelt, mit einer hohen Bekanntheit. Da in Europa Königshäuser als konstitutionelle Monarchien überlebt haben, sind sie nur so lange von Bedeutung, wie die Menschen ihres Landes sie als nützlich erachten. Dazu gehören der Pomp von Königshäusern, mit denen andere Staatsoberhäupter zu beeindrucken sind, die Erfahrung, dass die Soft Power von Monarch*innen, die über viele Jahre in ihrem Amt sind und über dem alltäglichen Politikgeschäft stehen, durchaus nützlich sein kann und einem Land mehr Zugänge schaffen kann, als es ein gewählter Präsident ist und die Übernahme von Funktionen, die eine Gesellschaft zusammenhalten kann.

Die Queen stand über allem, äußerte sich nie politisch und war letztlich eine moralische Instanz, die gerade in schwierigen Zeiten als tröstlich und hilfreich gesehen wird. War nun der blaue Hut mit gelben Blumen bei der Thronrede im Parlament ein sanftes Zeichen für den Verbleib in der EU, als dort über den Brexit diskutiert wurde? Durfte die Queen einfach nach dem Unfalltod von Diana zuerst als Großmutter handeln und ihren beiden Enkeln zumindest für eine Woche Schutz vor der öffentlichen Zurschaustellung der Trauer geben ? Das war auch Grundlage für einen (zu Recht) Oskar-prämierten Kinofilm. Wie cool war der Clip mit James Bond zur Eröffnung der Olympischen Spiele 2012 in London und wie berührend der Spot mit Paddington Bär im Sommer 2022 – samt Teelöffel-Intro „We will rock you“? Neben glamurösen Red Carpet-Auftritten zur Premiere des neuesten James Bond sind für die britischen Royals aber auch viele andere Termine im „Court Circular“ zu finden, die meist weniger öffentliche Beachtung finden, wie Besuche zur Eröffnung von Kirchen, Tempeln oder Krankenhäusern, Gespräche mit Bauern oder Obdachlosen oder andere wohltätige Zwecke, die die königliche Schirmherrschaft nutzen, um öffentliche Beachtung zu finden. Wenn Queen Consort Camilla sich seit vielen Jahren um den Schutz von Frauen nach/vor häuslicher Gewalt kümmert oder Leseförderung mit eigenen Buchclub zur Empfehlung von guten Büchern betreibt, hat das mehr Aufmerksamkeit als ohne sie, selbst wenn oft genug noch die Beschreibung der Kleider der königlichen Damen mehr Raum in den Artikeln einnimmt als die gute Sache, die sie mit ihrem Besuch unterstützen wollen. Aber ikonische Fotos wie Diana, die eine AIDS-Station besucht und allen Kranken ohne Handschuhe die Hand gibt oder sie auf ihrem Weg durch eingeräumtes Minenfeld haben in der Regel mehr Breitenwirkung für ein Anliegen als lange Fachartikel. Weil sich König Charles in seiner lange Wartezeit als Prince of Wales anders als seine Vorgänger nicht nur mit Gelagen und Polospielen die Zeit vertreiben wollte, hat er mit dem Princes Trust schon in den 70iger Jahren eine Organisation aufgebaut, die angesichts fehlender staatlicher Angebote in Großbritannien Angebote für langzeitarbeitslose Jugendliche machte und ihnen Unterstützung für eine eigene Existenzsicherung bot – in einem multiethischen Land für alle, die durch die Politik abgehängt werden. Und das hat auch Menschen wie Idris Elba geholfen, der heute als Goodwill-Botschafter erklärt, wie ihm das damals geholfen hat. Und das Charles in den 70iger Jahren ausgelacht wurde, weil er über Fragen des Klimawandels und der Biodiversität (die damals noch nicht so heißen und eher eine Nischenexistenz im politischen Diskurs führten) diskutierte, ist angesichts der heutigen Bedeutung des Thema weit vorausschauend. Prinz William kümmert sich um Fragen von Obdachlosigkeit im Kleinen wie im Großen und will weltweit zukunftsorientierte Lösungen zur Bekämpfung des Klimawandels unterstützen und fördern. Seine Frau Catherine will die Unterstützung der Gesellschaft für Kinder unter 5 Jahren stärken und Sophie von Wessex bekam vor wenigen Tagen – weit weniger beachtet als eine zeitgleiche glamuröse Preisverleihung in New York – von der Hillary Rodham Clinton Stiftung in Washington einen Preis in Würdigung ihrer langjährigen Arbeit für Frauen, die in Kriegsgebieten gezielt als Kriegswaffe sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Königin Maxima kümmert sich im Auftrag der Vereinten Nationen darum, wie Frauen in aller Welt einen besseren Zugang zu Geld bekommen und berichtet dazu auf internationalen Konferenzen und besucht erfolgreiche Projekte vor Ort. Dabei haben Mitglieder von königlichen Familien oft eine größere Wirkung, weil sie sich für den guten Zweck aus Überzeugung einsetzen (können) und als Personen in einer Welt, die immer mehr in Schwarz-Weiß-Diskussionen gefangen scheint, auch über klassische „Lager“ hinweg akzeptiert sind.

Neben den wohltätigen Aktivitäten ist auch das Leben der Royals wirtschaftliche Grundlage für den Boulevard, Paparazzi, Buchveröffentlichungen und Andenkenproduzenten. Und wie bei Fussballclubs gibt es Fans, die jeden Aspekt verfolgen und mehr oder minder leidenschaftlich diskutieren. Man teilt gerne die schönen Dinge wie Hochzeiten und die Geburt von Nachkommen, muss aber auch auf Schritt und Tritt gewahr sein, dass alles was man tut, am nächsten Tag in einer Boulevardzeitung landet. Und weil es immer auch Drama braucht, werden Streitigkeiten zwischen Familienmitgliedern, Fehltritte und Danebenbenehmen immer gerne genutzt, um die Spannung in den bunten Blättern zu halten. Ist die Person, mit der ein Prinz oder eine Prinzessin ausgeht, die Person, mit der er oder sie vor dem Traualtar landet? Wann ist frischverheiratete Frau endlich schwanger? Gibt es eine Ehekrise, gar ein Fremdgehen zu berichten? Gibt jemand zu viel Geld aus, trägt sie unpassende Kleider, bewahrt sie immer die Contenance? So viele Fragen und noch mehr, die Stoff für Zeitungsseiten, Podcasts, YouTube Videos oder auch das eine andere mehr oder minder seriöse Buch schaffen.

In königlichen Kreisen gilt normalerweise: Über Geld spricht man nicht, auch wenn im Zuge von Transparenz bei eingesetzten Steuergeldern für die Funktion des Staatsoberhaupts  mehr darüber weiß. Aber wenn die Kleider der Damen (oder der Kinder) der heimischen Modeindustrie weltweite Absatzrekorde verschaffen ist das nur ein Nebeneffekt der eingesetzten Mittel. 

Der jüngere Sohn des aktuellen Königs von England war lange ein Liebling der Welt. Das Bild von ihm und seinem Bruder, die hinter dem Sarg ihrer Mutter durch London gehen, Kinderfotos der Brüder mit ihrer Mutter und ihrem Vater, Fotos von Einschulungen und andere haben beide Brüder zu einer Art öffentlichem Eigentum gemacht. Beide haben immer auch versucht, ihre Privatsphäre zu schützen, müssen aber auch Teile ihres privaten Lebens mit der Öffentlichkeit teilen. Die Verlobung mit Fotocall samt großem Interview, Hochzeiten, die weltweit verfolgt werden, neugeborene Kinder, die wie sie selbst wenige Stunden nach der Geburt der Welt und vielen Fotografen präsentiert werden oder Bilder der Taufen gehören aus der Sicht der Brit*innen dazu, dafür dass sich eine Monarchie leisten.

Das Harry und Meghan nun als Teil eines gut dotierten Deals mit Netflix und Spotify ihre Geschichte vermarkten, wäre dann weniger beachtenswert, wenn sie sich nicht nur auf ihren Teil der Geschichte bezögen, die aber auch gelegentlich zu früheren Äußerungen variiert oder für die Story der Doku eben nicht die „reine Wahrheit“, sondern das, was sie als Wahrheit sehen, vermarktet. Ob in einer Zeit, in der Großbritanien durch den Brexit ein gespaltenes Land geworden ist, die kontroverse Diskussion darum, wer wann wen bei der Anprobe der Kleider der Blumenkinder zum Weinen gebracht hat und ob die durchgeknallte Diskussion des britischen Boulevard über Avocados als Nahrungsmittel für Schwangere rassistisch ist, nun auch noch das Königshaus, das – zuletzt beim Tod von Elizabeth II deutlich geworden -, bisher als etwas gesehen wurde, dass für viele Brit*innen etwas Positives war, in kontroverse Debatten gezogen wird, ist die eine Frage. Aber wer die Debatte verfolgt, kann mit Inbrunst gepflegte Verschwörungstheorien der Sussex-Fans – gerade auf Twitter – genauso wie einiger Royal-Expert*innen beobachten. Ich für meinen Teil habe mehr Sympathien für die, ihren Job machen als die, die viel Geld damit machen, zu klagen, wie übel man ihnen mitgespielt hat. Und in heutigen Zeiten ist zwar auch ganz viel Unsinn im Internet zu finden, aber es ist auch ein großes Archiv, was Beteiligte zu früheren Zeiten gesagt haben. Und deshalb verfolge ich die Debatte gerne, werfe auch mal den einen oder anderen Kommentar bei Twitter ein und beobachte eine Institution, die in langen Linien denkt, wie sie mit kurzfristigen Erschütterungen umgeht. In dem Sinne hat die Queen eigentlich alles gesagt, die Harry and Meghan a happy and peaceful new life“ wünschte nachdem diese Anfang 2020 auf eigenen Wunsch die Funktion der „Working Royals“ mit ihren Vor- und Nachteilen zu Gunsten eines finanziell unabhängigen Lebens aufgegeben haben. Und zu den meist nicht konkreter spezifizierten Vorwürfen, die die beiden im Oprah-Interview erhoben – und bei denen die Gastgeberin des Gesprächs im Gegensatz zu Journalist*innen wie Emily Maitlis nicht die Fakten nachgefragt oder gar eingeordnet hat, fasste die Queen in ihrem Statement, das an sich schon etwas Besonderes war, neben dem Wunsch, über Probleme in der Familie direkt miteinander zu reden, ihre Haltung zu dem Ganzen unnachahmlich kurz zusammen: Recollections may vary. Und wer für den Aufbau der eigenen Marke nur über das redet, was dem eigenem Narrativ dient und alles, was auch noch betrachtet werden könnte (oder für das ganze Bild sogar müsste), entweder als falsch ablehnt oder ganz verschweigt, der geht eben nicht in einen Diskurs, sondern sucht nach Aufmerksamkeit. Kann man machen. Finde ich falsch. Denn wer die Welt wirklich zu einer besseren machen will, der schafft Aufmerksamkeit für die Anliegen und nicht für sich selbst. In dem Sinne: Danke Netflix, aber mein Geld kriegst Du nicht.

Veröffentlicht von Margrit Zauner

Europäerin in Berlin mit großer Wienliebe und einer Leidenschaft für Bücher und Arbeit Copyright Foto: ALBBW / M. Bußmann

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